Ich habe im Jahr 2007 vorerst ohne grosse Überzeugung, später mit voller Energie und vorbehaltlos die Funktion des stellvertretenden Kommandanten in einem Truppenkörper angenommen. Der Kommandant und auch Freund von mir bat mich, diese neue Aufgabe mit ihm gemeinsam zu meistern. Rasch war mir klar, dass das einige Herausforderungen mit sich brachte. Der Stab war allgemein und gemäss Aussage der Vorgesetzten für seine schwachen Leistungen bekannt.
Wir beschlossen, unsere Aufgabe mit starken Argumenten und hartem Vorgehen zu starten. Hierzu ein Rückblick auf den ersten WK, der im Jahr 2007 stattgefunden hat. Ich durfte diesen WK selber kommandieren, weil mein Kommandant eine Woche vor dem Start einen Unfall hatte. Unglück für ihn, Glück für mich!
Allgemeine Lage
Einige Fakten: Fast die Hälfte der Stabskompanie rückte ohne Waffen ein. Die Soldaten verliessen das Wachdispositiv, um sich in einer lokalen Pizzeria zu verpflegen. Der Appell war – so nehme ich an – nicht bekannt oder zumindest nicht klar. Einmal brauchte der neue Kompaniekommandant sicher 50’, um die ganze Kompanie auf dem Platz zu haben. Ob letztendlich alle anwesend waren, ist heute noch ein Rätsel. Das Bataillon war also eingerückt. Man konnte die Aufgaben erledigen. In welcher Qualität, sei dahingestellt. Der Friedens-WK dauerte so oder so drei Wochen. Einen Schaden zu verursachen, war nicht möglich. Oder doch? Ergänzend dazu ist zu vermerken, dass Kader in dieser Kompanie Mangelware war.
Vorbereitung
Zurück zum Stab: Den ersten Rapport führten wir in der Kaserne Bern durch. Es war eher eine klassische Befehlsausgabe als ein Rapport („Ich will…, Sie machen… und bitte keine dummen Fragen…“). Wir wussten, dass der Stab nicht ganz leistungsfähig war. Das wurde uns so gesagt. Als Stellvertreter und Stabschef erklärte ich, dass ich den Stabsrapport um 0715 morgens durchführen wollte. Prompt kam ein Vorschlag: „Wir möchten den Rapport um 1130 machen, damit ein Aperitif möglich ist!“ „Wie bitte?!“ Ich traute meinen Ohren nicht. 1130?! Aperitif?! Ich musste mich zurückhalten, um keine Emotionalität zuzulassen. „Danke für den Vorschlag. Ich möchte an meiner Entscheidung festhalten“, sagte ich. Ich war ein bisschen verzweifelt. Dann folgte meine Begründung: „Das ist der Führungsrhythmus.“
Am Nachmittag hatte ich eine Sitzung mit dem Kommandanten und ich konnte mich auf den folgenden Stabsrapport vorbereiten. „Aperitif? Welsche Truppe? Ja, können wir machen. 1130 und ohne Exzesse!“ Ob die Diskussion genau so war, ist nicht so wichtig. Wichtiger waren die folgenden Ereignisse. Wir befahlen den Stab minutiös und konkret. Wir versuchten, Auftragstaktik zu leben. Hier kam die erste grosse Überraschung. Die Stabsoffiziere waren fast sprachlos. Sie merkten, dass wir miteinander Ziele erreichen wollten und der Stab nicht als Nippsache gesehen wurde. Unbewusst hatten wir einen ersten Erfolg erzielt, nämlich den Stab als Stab zu gebrauchen und nicht als „Büroordonnanz“.
Wiederholungskurs
Rückblick: Stabskompanie, irgendwo früh am Morgen im Wald: Ich besuchte das Dispositiv der Stabskompanie. Es war besser, keine Anwesenheitskontrolle durchzuführen. Es herrschte ein ständiger Versuch, sich zu dispensieren.
Eine Übung hatte die Verschiebung des Bataillonskommandopostens zum Thema. Trotz minimaler Beteiligung der Kompanie (die meisten waren mit anderen Sachen beschäftigt) war ich mit der Übung sehr zufrieden. Das schönste war, mit den Soldaten zu sprechen und Meinungen auszutauschen. Interessant war unter anderem ein Gespräch mit den Motorrad-Soldaten. Ich bat darum, mir zu sagen, welche Leistungen sie zu Gunsten des Bataillons bringen könnten. Dabei kam mir eine weitere Idee.
Meine Idee war, die Elemente der Stabskompanie durch ein Verbandstraining wieder ins Boot zu holen. So gab ich den Befehl, einen Konvoy aus dem Raum Biel via Thun bis zurück nach Ittigen zu planen. Meine Handlungsrichtlinien waren einfach: eine permanente Verbindung und eine permanente Sicherung (auch bei einer Kreuzung auf der Hauptstrasse!). Vorbereitungszeit: 1 Woche. Das Resultat des Gespräches, ihre Fähigkeiten zu Gunsten des Konvoys einfliessen zu lassen, war ein Erfolg.
Sicherungssoldaten, Fahrer, Motorradfahrer und Übermittlungssoldaten nahmen den Auftrag wahr. Am Tag der Übung war ich stolz, und zwar nicht aufgrund des Resultat, sondern weil diese Leute miteinander gearbeitet hatten. Das Miteinander hatte einen Sinn.
Das Bataillon war im Jahr 2007 überhaupt nicht einsatzfähig. Ich bezweifle nicht, dass die Fahrer fahren konnten, dass die Instandhaltungssoldaten reparieren konnten, dass die Nachschubsoldaten kommissionieren konnten. Das Programm wurde aber wie eine „träge“ Arbeit gelebt. „Wir machen das, was wir machen, weil wir es machen müssen.“ So könnte die Zusammenfassung lauten. Der Stab wurde bis 2007 nicht in seiner vollen Wertschöpfung ausgenutzt. Der Stab war da. Basta. Am Ende der WK konnte der Stab als Stab eingesetzt werden und war selbstbewusster geworden.
Gegenseitiges Vertrauen gewinnen
Eine grosse Lehre für mich und meinen Kommandanten war, dass wir unsere Leute zuerst kennenlernen und unsere eigene Meinung bilden müssen, anstatt mit vorgefassten Ansichten vor ihnen zu stehen. Der Stab war nicht leistungsfähig gewesen. Ein möglicher Grund war das mangelhafte Leadership der letzten Jahre. Noch schlimmer war, dass für das Bataillon kein Sinn erkennbar war. Es war einfach ein Schiff im Meer ohne klare Seeroute.
Im Jahr 2008, bei meinem zweiten und letzten WK, diesmal als Kommandant Stellvertreter, konnten wir weiter aufbauen. Der Sinn war wahrscheinlich noch schwach ersichtlich, das gebe ich zu. Das „alte“ Bataillon und sein Stab erinnerten aber nicht mehr an die Begegnung im Jahr davor. Der Stabsrapport war auch im 2008 um 0715 angesagt und um 1130 kam ebenfalls ein Aperitif. Leistung und Genuss! Das Vertrauen war nun die Norm. Es kann für Leser der Verdacht entstehen, dass dies sehr schlimm war. Nein. Es hatte nur ein starkes Leadership gefehlt. Das Bataillon zählte auch Kompanien, die weniger Probleme hatten. Ein gemeinsamer Nenner war trotzdem die Trägheit im Dienst.