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Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift ASMZ – Nr. 10 Oktober 2017 | Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (ASMZ), S. 34-35, veröffentlicht.
Ein imaginärer Rückblick aus den Jahren 2040-2050 auf unsere heutige Zeit lässt erahnen, was auf uns zukommt. Die Digitale Revolution mag das Thema sein. Doch Führung geht darüber hinaus, weil Menschen nicht Automaten sind. Führungsqualitäten sind gefragt wie eh und je – und die Schweiz von morgen wird heute von uns geprägt. Tragen wir dafür die Verantwortung! AM
In die Zukunft zu schauen, mag für viele eine Herausforderung sein, gehört aber zu den spannendsten Aufgaben, denen sich der Mensch stellen kann. Visionen, Trends und Mut sind notwendig, um sich für die Zukunft vorzubereiten. Dieser Umstand gilt auch für die Schweizer Armee. Mit der folgenden Zeitreise wird der Versuch unternommen, die Thematik «Leadership» unter Einbezug des technologischen Wandels genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Militär wird zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dasselbe gilt für das Leadership von morgen.
Schweiz 2040 (I)
Die Welt mit ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekten hat sich in den letzten Jahren massiv geändert. Die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz (AI) haben eine dominante Rolle in unserem täglichen Leben eingenommen und treffen teilweise auch Führungsentscheide. Die Führungsstrukturen und das Leadership stehen somit massiv unter Druck. Dutzende Berufe sind nur noch in Geschichtsbüchern zu finden. Neue Jobs sind Realität. Der typische Arbeiter ist eine hochgebildete Person, die über Eigenverantwortung und Vertrauen zur Durchführung ihrer Tätigkeiten verfügt. Analysen in mehreren Bereichen unserer Gesellschaft gehören durch den gezielten Einsatz von AI zur Realität. Ausgeklügelte Algorithmen generieren aus den Big Data innert kürzester Zeit prädiktive Prognosen.
Die Welt ist global vernetzt. Die Hierarchien sind flacher und Heim-/Telearbeit ist stark verbreitet. Prozesse und Entscheidungsfindungen verlaufen rasch und strukturiert. Die Produktion/Verteilungskette wurde in den 40 Jahren des neuen Millenniums komplexer, ist aber effizienter denn je. Die Integration und Schnelligkeit des Denkens und Handelns, sowohl in privaten als auch in beruflichen Bereichen, sind Schlüsselfaktoren. Wer sich nicht anpasst, versinkt in der Bedeutungslosigkeit. Nicht mehr jeder Mensch in der Schweiz hat automatisch einen Job. Darunter leidet das Sozialsystem. Die Aufteilung des Reichtums wurde neu konzipiert, das System hat sich aber noch nicht etabliert. Die meisten Menschen betrachten die Technologieentwicklung als positiv. Beinahe alle Institutionen oder Unternehmen setzen sie ausnahmslos in allen Bereichen der Wertschöpfungskette zur Erhöhung der Produktivität ein. Es wird wieder im eigenen Land produziert.
Aus unerklärlichen Gründen traten in der Schweiz massive technologische Probleme auf. Die «Integrität der Gesellschaft» (als kritische Infrastruktur zu verstehen) geriet in eine überraschende Krise. Das Wachstum bricht ein. Die meisten Akteure sind auf eine Krise kaum vorbereitet. Panik bricht aus. Führungskräfte sind überfordert und oft nicht fähig, diese Krise zu meistern.
Schweiz heute (I)
Wir nehmen heute vielfach alles als selbstverständlich hin. Wir können beispielsweise alles kaufen, was wir (zum Leben) benötigen. Wir vergessen, dass die heutige Gesellschaft ebenso zerbrechlich sein kann wie die von anderen Epochen, allerdings in einem anderen Tempo und mit anderen Folgen.Wenn die Logistikkette zerbricht, ist die Beschaffung von Gütern problematisch. Selbstverständlich ist der Ausblick in eine ferne Zukunft noch nicht geschrieben. Der interessierte Leser wird sicherlich mit Argumenten da gegen halten. Sicherheit ist ein Zusammenspiel von mehreren Akteuren. Wir sind mehr denn je von anderen abhängig. Kurzfristiges Denken mag eine Lösung sein, wird auf lange Sicht jedoch zu einer Gefahr.
Schweiz 2040 (II)
Die Technologie und die AI wurden auch für das Militär wichtiger. Die Führungsstrukturen wurden angepasst, weniger Kader wird benötigt. Sowohl beim Militär als auch im zivilen Umfeld wurde die Eigenverantwortung des Einzelnen grösser. Die Verschmelzung von Kader und Leadership gehört zum Alltag (adaptives Leadership). Sinnvermittlung ist der wesentliche Kern des Erfolgs. Das Militär besteht weiterhin als Krisenorganisation und das Modell 5+2 zeigt sich als wirksames Führungs- und Planungsinstrument. Dieses Modell sowie die Erfahrungen, die der junge Kader sammeln konnte, stellen einen USP dar. Trotz der Technologie und AI bildet das Konzept «boots on the ground», nämlich die Soldaten (als Gesamtsystem betrachtet), den Kern unserer Armee.

Schweiz heute (II)
Die Technologie stellt für die Menschheit sowohl eine Chance als auch eine Gefahr dar. Prognosen, die auf Literatur, Beobachtungen und Erfahrungen basieren, sind nur eine kurze Auswahl der laufenden Entwicklung in allen Bereichen unserer Gesellschaft.
Ich hebe aufgrund verschiedener Aspekte die Bedeutung der militärischen Führungsausbildung zu Gunsten der Wirtschaft hervor. Es geht darum, zu erkennen, dass es überheblich wäre, zu meinen, das Militär könne die ultimative Lösung darstellen. Es geht auch darum, aufzuzeigen, dass das Militär durch seinen robusten Beitrag die zivile demokratische Gesellschaft unterstützen kann. Das Militär ist ein Spiegel der Gesellschaft, und zwar deshalb, weil es von Menschen geführt wird und weil es eine Milizarmee ist. Wenn alle Akteure dasselbe Ziel verfolgen, können schlechte Erfahrungen minimiert werden. Dies wäre möglich, wenn die Entscheidungsträger der Wirtschaft gute Rahmenbedingungen schaffen, damit geeignete (künftige) Leader sich in der Armee einsetzen können und die Armee im Gegenzug ihr Bestes gibt, um für Krisensituationen echte Leader sinnvoll, kompetent und kontinuierlich zu trainieren.
Die Armee braucht Führungskräfte, die unter erschwerten Bedingungen und widrigen Umständen analysieren und entscheiden können, also Leute, die auch unter hoher physischer und psychischer Belastung andere Menschen führen können. Die heutige Ausbildung entspricht einem modernen Menschenbild, das genau diesen Auftrag abdeckt. Die Wirtschaft kann in Krisensituationen von der Erfahrung eines solchen Kaders profitieren. Leider haben viele Unternehmen den Mehrwert einer solchen Ausbildung noch nicht verstanden, und der Gewinndruck (meist auf Personalkosten) ist für sie das grösste Thema.
Schweiz 2050
Nur wenige Organisationen bzw. Firmen konnten die Krise mit Erfolg überstehen. Viele glaubten, dass die Technologie sicher und unzerbrechlich sei. Viele empfanden es als unwichtig, die eigenen Führungskräfte auf Krisensituationen vorzubereiten. Nur wenige Organisationen trainierten ihre Fachkräfte regelmässig.
Schweiz morgen
Statt zu versuchen, uns ständig mit der Wirtschaft zu vergleichen, sollten wir uns eher differenzieren. Diese Differenzierung stellt sich als Mehrwert des Kaders dar. Die Armee muss sich vermehrt auf die lange und fordernde Ausbildungszeit, auf das Lernen unter erhöhtem Zeitdruck, auf intensive und lange Tage, auf direkte und häufig harte Feedbacks von Unterstellten sowie Vorgesetzten, basierend auf theoretischen, aber auch praktischen Kenntnissen, auf höhere physische sowie psychische Belastungen und nicht zuletzt auf die enge physische Zusammenarbeit mit Menschen konzentrieren. Das ist der USP der Armee. Der Kader wird so darauf geschult, im Sinne der Gemeinschaft zu operieren und sich hinter die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu stellen. Der «Wir-Gedanke» anstatt der «Ich-Gedanke» muss im Vordergrund stehen!

Soll-Hypothese für die Schweizer Armee
Was soll die Armee am besten machen? Die Basisausbildung respektive die Kaderschulen sollen die Tendenzen (Generationenwandel, Technologie, Methodik) kontinuierlich berücksichtigen. Weiter soll die Armee sich gegenüber der zivilen Arbeitswelt differenzieren und trotzdem als ergänzendes Kriseninstrument darbieten. Sie soll Leader hervorbringen und fördern, die in der Lage sind, Menschen und Prozesse auch in Krisen zu führen. Um dies zu erreichen, muss die Ausbildung als «lebenslanges Lernen» verstanden werden. Militärischer Kader muss nach der Entlassung aus der Wehrpflicht die Möglichkeit erhalten, sich regelmässig in punkto Führungsausbildung, Stabsarbeiten und Krisensituationen weiterzubilden. Die Armee muss noch intensiver in internationalen und nationalen Management- Ausbildungsinstitutionen ihre Methoden bekanntmachen. Schlussendlich muss auch geprüft werden, ob eine Erweiterung des Ausbildungsangebots für die zivilen Kräfte (z.B. Schulung von Übungsleitern) möglich ist.
Um das System Miliz zu erhalten, brauchen wir Leader, welche die Notwendigkeiten der Gegenwart und die verschiedenen Trends der Zukunft verstehen, aber zudem den Mut haben, auch auf unbekannten und manchmal unsicheren Wegen das Gros der Leute zu führen. Es braucht ein Leadership, das nicht aufgrund des Grades oder Status seine Berechtigung sucht, sondern durch klare Visionen und Kompetenzen Menschen im Zuge der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen gemeinsam zum Ziel führt. Das kontinuierliche Lernen erhöht die Chance, dass unser Kader weiterhin «up to date» ist und einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit des Landes (und der Wirtschaft) leisten kann.
Die Schweiz von morgen wird heute von uns geprägt!
–> übrigens … das ist auch sehr interessant: leadershiptalks.ch
Literaturverzeichnis
- Rappazzo Alessandro: Vorsprung durch Leadership. Modernes Leadership in der Armee. Miles-Verlag 2016, ISBN 978-3-945861-49-3.
- ZHAW-IAP Studie 2017: Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0.
- Millionaire: Il mensile di business più letto (Diverse Ausgaben 2017).
- Blog.kmv.ch:Hierarchie – ein Auslaufmodell? (2017).
- 20.min: «Die künstliche Intelligenz stellt uns vor ein Dilemma» (2017).
- zukunftsstark.org: Diese 16 Megatrends werden unsere
- Zukunft massgeblich beeinflussen (2017).
- are-you-digital.ch: Die Chancen der Digitalisierung nutzen 2017).
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