Valentina. Neuneinhalb Jahre alt. Kurz vor dem Beginn des Spiels zwischen der Schweizer Nationalmannschaft und Frankreich bei der Fussball-Europameisterschaft 2021 sagte sie mir, dass Frankreich – der aktuelle Weltmeister – gewinnen würde. Aus Neugierde fragte ich sie, warum sie denke, dass Frankreich gewinnen würde. Ihre Antwort? Ruhig argumentierte sie, dass letztere eine starke Nationalmannschaft und aktueller Weltmeister sei. Eine logisch-deduktive Antwort, die keine Falten wirft. Ich habe sie später gefragt, woher sie ihre Informationen habe. Eindeutig von Jungen und Mädchen in ihrem eigenen Alter, aber auch von einigen Erwachsenen: meiner Frau zum Beispiel, die ebenfalls davon überzeugt war, dass Frankreich, als höherklassige Mannschaft, gewinnen würde.
Der Pessimist beschwert sich über den Wind. Der Optimist wartet darauf, dass es sich ändert. Der Realist justiert die Segel
Nicolas Chamforts
Rational gesehen hatten sowohl meine Tochter und meine Frau als auch die Mehrheit all jener Menschen Recht, die in den letzten Wochen zu Kritikern der Fussballwelt und Trainern aus Leidenschaft oder zum Abreagieren geworden sind. Ja: Sie hätten Recht haben können. Aber unter dieser Schar von Trainern gibt es noch eine andere Kategorie, eine Kategorie, die nicht immer im Rampenlicht steht und ein wenig versteckt ist: die Kategorie der Menschen, die trotz Vernunft und Realismus einen Hoffnungsschimmer aufrechterhalten. Eine kleine Flamme, klein, aber immer noch ausreichend, die Hoffnung zu entzünden, oder zumindest die Seele im Abstieg zur Spirale des Negativismus zu halten.
Eine Negativspirale, die einerseits dazu dient, uns bestmöglich auf die bereits vorhersehbare Enttäuschung vorzubereiten, andererseits aber auch dazu führen kann, dass wir eine Haltung einnehmen, die immer vom schlimmsten Fall geprägt ist: dem Versagen.
Ich finde etwas Trost in Nicolas Chamforts Gedanken, wenn er sagt: „Der Pessimist beschwert sich über den Wind. Der Optimist wartet darauf, dass es sich ändert. Der Realist justiert die Segel.“ Der Realismus, und dessen bin ich mir bewusst, enthält eine Menge Interpretation, die an die einzelne Person gebunden ist. Dennoch sollte mich ein gesunder Realismus vor der Spirale des chronischen Negativismus schützen. Natürlich ist es nicht einfach, auch ein Realismus, der auf negativen Erfahrungen aufbaut, kann uns dazu bringen, alles „schwarz“ zu sehen.
In Nietzsches Worten finden wir die triviale Frage, wenn er sagt, dass es keine Fakten gibt, sondern nur Interpretationen, und auch die sind Interpretationen. Genauso wie der Glaube, der Menschen dazu bringt, etwas als selbstverständlich anzusehen, was letztlich nicht offensichtlich ist. Hoffnung, das „an etwas zu glauben“, ist eine herausfordernde Tätigkeit, aber eine, die uns manchmal unvorstellbare Ziele erreichen lassen kann.
Es gibt keine Fakten, sondern nur Interpretationen und auch die sind Interpretationen
Nietzsches