In den Postings von Sozialen Medien ist nicht selten darüber zu lesen, was die Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber erwarten. Der Mitarbeiter will das, das und noch etwas. Er oder sie erwarten dieses oder jenes. Sicher ist das gut und recht, doch wäre es auch vernünftig, sich zu fragen, ob man als Mitarbeiter über die nötigen Fähigkeiten und eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber der Firma verfügt. Wenn nur noch auf dem Modus der Erwartung und kaum mehr auf Bereitschaft operiert wird, ist sicher die Zeit gekommen, die Firma so bald als möglich zu verlassen.
Diese Gedanken sollen uns zwingen, die Situation in der (selbstkritischen) Ich-Perspektive zu betrachten. Konkret handelt es sich darum, sich zu fragen, inwieweit man als Arbeitnehmer noch bereit ist, die Philosophie, die Kultur und die erwarteten Leistungen des Unternehmens zu verinnerlichen resp. zu akzeptieren und zu leben. Die Gurus im Leadership, die Influencer, sind sehr verschwenderisch bezüglich der Tricks und Tipps. Hier ein Bild als Beispiel:
Das mag ja sein und ist richtig und vernünftig. Es ist aber nur die halbe Geschichte. Lassen Sie mich kurz die andere Seite erwähnen, nämlich welche Erwartungen der Arbeitnehmer hat. Oh ja, die Führungskräfte sollen zwingend 10 Punkte berücksichtigen, damit die Angestellten nicht davonlaufen. Das haben Sie sicherlich gerade gelesen.
Die Idee zu dieser kurzen Reflexion kam, nachdem ich mehrere Male das folgende Bild gesehen hatte. Es gefällt mir. Ja, sicher entspricht es auch einem modernen Führungsstil. Nehmen wir nun aber die Sichtweise des Arbeitgebers ein. Er hat gewisse Erwartungen. Das ist die alte Geschichte des Gebens und des Nehmens, die der Rechte und Pflichten.
Selbstverständlich hat der Mitarbeitende wie der Arbeitgeber Rechte und Pflichten. In den Sozialen Medien und in der Presse kursieren zahlreiche fruchtbare Ratschläge für überforderte Manager, quasi Saint-Graal-Rezepte, um als Führungskraft erfolgreich bestehen zu können. „Wenn du erfolgreiche sein will, sollst du diese 10 Punkte verfolgen.“ Der erwähnte X-Punkte-Tipp ist Mode geworden. Alle erfolgreichen Schritte oder alle wichtigen Tipps sollen in wenige Punkte zusammengefasst werden.
Ich bezweifle nicht, dass dieses Vorgehen gewinnbringend ist, im Gegenteil! Diese Methode ersetzt aber nicht die wesentlichen Grundvoraussetzungen jedes Managers: Menschen zu mögen, klare Ziele (für die Organisation) zu setzen, VUCA-Fähigkeiten aufzuweisen, Erfahrungen zu sammeln und nachhaltige Leistungen zu erbringen (siehe meinen Beitrag Modernes Leadership).
Heute versuchen wir, anhand von acht Punkten zu definieren, welche Erwartungen der Arbeitgeber an den Mitarbeitern stellt. Das Thema ist sicher spannend und wird wohl nicht überall mit wehenden Fahnen begrüsst, da sich heute die Kritik nicht auf eine Institution richtet, sondern direkt an den Betroffenen, den Mitarbeiter. Im Klartext: Es ist einfacher, eine Firma zu kritisieren, als eine Person, welche die Emotionen und die Betroffenheit schmerzen kann.
Ich habe eine Liste mit den für mich wichtigsten Merkmalen zusammengestellt:
- Identifikation mit der Firma
- Hilfsbereitschaft
- Teamfähigkeit
- agieren statt reagieren
- Kritikfähigkeit
- Respekt gegenüber Kollegen und Vorgesetzten
- stetige Weiterbildung
- VUCA- und SSEE-Fähigkeiten
Bevor ich mich also frage, was der Arbeitgeber für mich machen muss, sollte ich mich fragen, was ich für den Arbeitgeber machen kann. Die erwähnten 8 Punkte sind eine Summe aus persönlichen Überlegungen, Erfahrung und meiner kontinuierlichen Weiterbildung. Obwohl ich daran glaube (an diese Punkte), ist die wichtigste Übung, mich in die Ich-Perspektive zu versetzen. Ich muss mir klar werden, dass es nicht nur darum geht, was andere für mich machen können (müssen), sondern auch darum, was ich zu leisten bereit bin, um meine volle Berechtigung in einer Organisation zu finden. Wahrscheinlich hat diese Suche mit dem Sinn zu tun. Sie können auch meinen Beitrag Gedanken über Leadership lesen.
Nicht nur der Vorgesetzte soll eine Sinnvermittlung pflegen, sondern auch wir als Mitarbeiter müssen unseren Sinn in unserer Arbeitswelt suchen, finden und (noch wichtiger) leben.
Identifikation mit der Firma
Freude, strategische Ausrichtungen der Firma verstehen, unterstützen und miterleben, sich für die Firma positiv engagieren, einfach einen Beitrag leisten, einen Mehrwert erbringen
Hilfsbereitschaft
Fähigkeit, seinen Kameraden oder Vorgesetzten zu helfen, sie zu unterstützen.
Teamfähigkeit
Wer heute oder morgen alleine entscheiden will, hat verloren. In der heutigen Gesellschaft ist eine Entscheidung zwar Sache des Chefs, aber gleichzeitig auch die Summe (Weg zum Ziel) von Interaktionen, die nur dank des Beitrags des Teams möglich ist. Teamfähigkeit bedeutet, seine eigenen Bedürfnisse zugunsten des Teams zurückzustellen. Teamarbeit muss aber mit Effektivität und Effizienz verbunden sein, sonst werden viel kostbare Zeit und Ressourcen verschwendet. Siehe auch meinen Beitrag Die sieben Todsünden für die Stabsarbeit.
Agieren statt reagieren
Auftragsvorgehen (Auftragstaktik) versus Befehlsvorgehen (Befehlstaktik): Ich bin der festen Überzeugung, dass das erste zu bevorteilen ist. Es geht darum, die eigene Verantwortung wahrzunehmen, und nicht immer etwas von oben zu erwarten. Es geht darum, im Sinne des Chefs seinen eigenen Verantwortungsbereich voll zu nützen. Und wenn Sie noch Zweifel über Befehlstaktik haben, können Sie auch den folgenden Beitrag lesen: Micromanagement: ein verhängnisvoller Trend für erfolgreiche Führung.
Kritikfähigkeit
Die Welt und das Leben sind nicht nur aus Süssigkeiten oder Belohnungen gemacht. Es gibt auch Situationen, welche nicht komfortabel sind. Selbstkritik und die Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren, sind ein Muss. Siehe auch meinen Beitrag Kritisiere mich und du bist erledigt.
Respekt gegenüber Kollegen und Vorgesetzten
Auch die Kameraden oder die Vorgesetzten sind keine reinen Nummern. Es sind Menschen, Menschen mit Stärken und Schwächen. Der Mensch ist ja unsere Schlüsselressource. Ob wir wollen oder nicht, es ist einfach so. Wir müssen stetig in das Personal investieren. Zweifel? Lesen Sie auch den folgenden Beitrag: Personalführung – Codename der Mitarbeiter X100.400.435.
Stetige Weiterbildung
Konkret heisst stetige Weiterbildung, sich nicht nur während der Arbeitszeit weiterzubilden, sondern sich (zusätzlich) in der Freizeit oder spät am Abend die Zeit zu nehmen, sich weiterzubilden. Weiterbildung für die auszuübende Funktion sowie für eine Fortsetzung der Karriere ist heutzutage ein ständiger Begleiter.
VUCA- und SSEE-Fähigkeiten
Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität sind nicht nur Wörter, sondern auch Grundfähigkeiten der heutigen und künftigen Leader. Der Mensch ist aber ein Individuum, das sich schnell an eine Situation gewöhnt. Das gibt Sicherheit. Das ist auch recht so. Das ist unsere SSEE-Welt (stabil – sicher – einfach – eindeutig). Als Kader oder Mitarbeiter müssen wir bereit sein, uns schnell aus unserem sicheren Hafen zu begeben und uns an eine neue Situation anzupassen. Um dies zu ermöglichen, brauchen wir nur eines zu tun: üben, üben, üben. Wenn Sie mehr über VUCA erfahren wollen, können Sie folgenden Artikel lesen: Was brauchen die Stäbe in einer VUCA-Welt, mehr Spinnen oder mehr Seesterne?
Was ich mit diesen wenigen Zeilen versucht habe, den Lesern zu vermitteln, ist, dass es an der Zeit ist, über die gegenseitigen Erwartungen der Involvierten nachzudenken. Die Tendenz ist, immer nur die eigene Seite zu betrachten. Ich bin der Mittelpunkt und die andere Seite kann ich vergessen. Meine Absicht war es somit, aufzuzeigen, dass auch wir (grosse) Leistungen erbringen müssen, wenn wir grosse Ansprüche an den Arbeitgeber stellen.
Wenn wir nicht bereit sind, den Blickwinkel unseres Gegenübers zu verstehen, sind wir einfach am falschen Platz und schaden der Organisation und den Arbeitskollegen. Wir können keinen Mehrwert für uns selber und für die Organisation generieren. Unser Ich ist somit am falschen Platz. It’s time to go or to act differently.
Beitragsbild: Alessandro Rappazzo
Grafik: rappazzo.org