Nach längerem Einsatz als Ausbilder Stufe FLG II und SLG I wird ein Fazit gezogen. Es geht um Erkenntnisse zu den Themen: Angst und Respekt der Berufsoffiziere vor dieser Herausforderung; Erwartungen der Milizoffiziere gegenüber dem Gruppenchef; Zwang beziehungsweise Bewusstsein der stetigen persönlichen Weiterbildung; gesellschaftlicher Wertewandel als wichtigster Faktor für unsere Milizoffiziere. AM
Mythos? Es gibt keinen Mythos. Der Einsatz als Gruppenchef kann eine sehr dankbare Aufgabe sein. Gruppenchefs sind keine Besserwisser, sondern erfahrene Ausbilder mit dem Ziel, angehende Milizoffiziere für ihre nächsten Aufgaben erfolgreich vorzubereiten. Die Kaderlaufbahn bietet die einmalige Chance, sich militärisch weiterzubilden und das erworbene Know-how auch in den zivilen Bereich zu transferieren. Im folgenden Artikel werde ich versuchen, zwischen dem Blickwinkel des Berufsoffiziers und demjenigen des Teilnehmers zu “jonglieren“.
Nach viereinhalb Jahren als Gruppenchef und als Teamleader im Kommando FLG II / SLG I an der Zentralschule erlangte ich genug Einblick, um über die Rolle eines Gruppenchefs reden zu können. Da die Gefahr besteht, den Leser mit einem eher trockenen Thema zu langweilen, greife ich bewusst auf meine persönlichen Erfahrungen als Mensch, als Offizier und engagierter Ausbilder zurück. Es kann auch passieren, dass Sie meine Meinung nicht unbedingt teilen. Das kann aber durchaus spannend sein.
Ich ermutige all meine jungen Kameraden, einmal hierher nach Luzern zu kommen. Wie wir später sehen werden, hat das aber seinen Preis. Das Privileg, Stabsoffiziere, angehende Kommandanten oder Generalstabsoffizier-Anwärter auszubilden, ist unglaublich faszinierend und fordernd.
Ein Streitgedanke
Während meiner Einsatzperiode konnte ich knapp 30 Klassen führen, begleiten und steuern. Zudem hatte ich Einsätze im Of LG und FLG I, ja ich konnte sogar Stäbe am FIS-Heer ausbilden. Das Kerngeschäft blieb aber beim FLG II und SLG I. Das Lehrgangskommando ist das Kompetenzzentrum im Bereich Prozesse, uns bestens bekannt als “5+2“ inklusive Lageverfolgung (Führungstätigkeiten). Nicht zu vergessen ist, dass die gelehrte Taktik für alle gilt und auch alles enthält, inklusive Logistik und Führungsunterstützung. Die Milizoffiziere aller Truppen kommen nach Luzern. Zu behaupten, dass die Zentralschule eine wichtige Drehscheibe sei, ist sicher nicht übertrieben.
Es gab nie einen Kurs, bei dem nicht auch ich vom Ausbildungsstoff oder von den Teilnehmern etwas zusätzlich gelernt habe – eine perfekte Win-Win-Situation also. In den vergangenen Jahren durfte ich verschiedene Teilnehmer aus der X-Generation bis zur Y-Generation kennenlernen. Ich musste mich an die neuen Erwartungen gewöhnen und auch anpassen. Die Periode war (leider) auch von einem grossen Turn-Over des Berufspersonals geprägt.
Die Milizoffiziere müssen Gruppenchefs vorfinden, die nicht die Tage zählen, um auf der Karriereleiter weiter zu steigen, sondern die als wahre Beispiele wahrgenommen werden. Stabilität ist die Basis der Innovation und der Agilität. Ständige Unruhen oder ständiges Leben in einer Krisensituation schadet jeder Organisation. Auch der Lehrkörper braucht Stabilität. Neben den Kursen ist entscheidend, wie wir als Ausbilder die Möglichkeit nutzen, uns zu reflektieren und weiterzubilden – zu Gunsten der Teilnehmer, uns selber und des Systems Armee.
Die Rolle eines Gruppenchefs
Die folgende Abbildung zeigt dem Leser die Erwartungen meines damaligen Kommandanten ZS und heutigen Kommandanten HKA, Divisionär Daniel Keller.
Gruppenchef an der ZS: Rollenverständnis und Erwartungen | Grafik: Kdo ZS
Er fordert, dass das Rollenverständnis eines Gruppenchefs an der Zentralschule nachvollziehbar sein und dies zwingend dem Umfeld mitgeteilt werden muss. Auf der “gelben Ebene“ hat der Gruppenchef in den verschiedensten Rollen sinnvolle und herausfordernde Lehrgänge und Kurse sicherzustellen. Die “grüne Ebene“ (oder auch die Enabler-Ebene) zeigt die Fähigkeiten, die im Rahmen der Kadervorkurse und Nachbereitungswochen nötig sind, damit die Lehrgänge und Kurse erfolgreich durchgeführt werden können. Dazu gehört eben auch, dass sich ein Gruppenchef in seinem Fachbereich sowie in seiner militärischen Herkunft fit hält und auch selber Truppendienst leistet.
Auf diese Handlungsrichtlinien folgen ein paar Gedanken, die von meinen Erfahrungen und Überzeugungen geprägt sind. Berufsoffiziere haben alle dieselbe Ausbildung, es eignen sich aber nicht zwingend alle als Ausbilder. Meiner Meinung nach sollte sich das Berufspersonal dieses Punktes verstärkt bewusst sein. Wir Ausbilder sollten eigentlich “geborene Leader“ und geschickte Methodiker sein und andere mitreissen können. Wir sollen begeistern und motivieren, mit Worten und Taten Vorbilder sein. Grundwerte wie Loyalität und Integrität verstehen sich von selbst.
Als moderne Ausbildner müssen wir die VUCA-Welt (siehe meinen Artikel ASMZ 10/2016, S. 32ff) beherrschen und uns bewusst sein, dass die laufende Weiterbildung eine Selbstverständlichkeit ist. Man sollte sich nicht immer fragen, was der Arbeitgeber einem bieten kann, sondern selber die Chancen packen und sich stetig selber weiterbilden. Fachkenntnisse in Bezug auf Taktik, Konzepte, Reglemente und Trends sowie die generelle gesellschaftliche Entwicklung sind dabei wichtige Faktoren. Ausbilder haben mit Menschen (den Milizoffizieren) zu tun. Wir müssen Menschen kennen und mögen, damit wir diese auch wirksam führen, ausbilden und coachen sowie ihr Vertrauen gewinnen können. Die Zentralschule braucht Ausbilder, die mit Leib und Seele hinter der Milizarmee stehen. Der Auftrag, den man als Berufsoffizier im Kdo FLG II / SLG I hat, besteht darin, unsere Leistungen für die Miliz zu erbringen. Zusammengefasst: Als Ausbilder gehen wir voran. Wir sind Vorbilder, die Werte und konkrete Beispiele vermitteln.
Die Erwartungen an die Milizoffiziere
Vorher habe ich versucht, aufzuzeigen, was ein Milizoffizier von uns Ausbildern erwarten kann. Nun erlaube ich mir, auch die Erwartungen, die an künftige Teilnehmer gestellt werden, zu formulieren. Dazu stelle ich vorab eine Frage: “Bringen Sie als Milizoffizier die nötigen Fähigkeiten (und auch Motivation) mit, um die Kurse erfolgreich zu absolvieren?“
Als Stabsoffizier müssen Sie bereit sein, die VUCA-Welt zu beherrschen. Es gibt selten ein richtiges oder falsches Vorgehen. Die Probleme können auf verschiedene Art, in unterschiedlicher Qualität sowie in individueller Form erledigt werden. Das Lehrgangskommando bietet Ihnen kompetente Ausbilder, eine moderne Lernplattform und die Möglichkeit, Fehler zu machen, um Erfahrungen zu sammeln. Sie müssen sich auf diese Ausbildung jedoch gründlich und seriös vorbereiten. Es ist mir bewusst, dass dies gewöhnlich mit Abendarbeit verbunden ist. Wir sind aber Offiziere. Wir leisten mehr.
Also erwarten wir Teilnehmer, die vorbereitet sind, welche die minimalen Anforderungen erfüllen und bereit sind, aktiv mitzumachen. Nur so können Sie vom System profitieren – und auch der Transfer in das zivile (Berufs-) Leben wird einfacher und erfolgreicher. Wenn Sie nicht bereit sind, schaden Sie kurzfristig den anderen Teilnehmern und langfristig unseren Unterstellten. Machen Sie also mit!
Die persönliche Umsetzung
Als Logistiker und Ausbilder im FLG II/ SLG I war es nicht nur meine Aufgabe, meine militärische Herkunft zu wahren, sondern auch meine neuen Prioritäten, nämlich die Taktik und alle möglichen Facetten des modernen Kampfes und der Einsätze, zu verinnerlichen. Ich sage immer, dass ich nicht der Beste bin. Ich lerne jeden Tag und versuche, aus Fehlern zu lernen. In diesen viereinhalb Jahren habe ich selbstverständlich auch Fehler gemacht.
Um meine Stärken zu fördern und meine Lücken möglichst zu schliessen, nahm ich mir die Zeit, Reglemente, Fachbücher und Artikel zu lesen. Ich habe themenbezogene Artikel geschrieben und immer versucht, mich während des Kadervorkurses und in den Nachbearbeitungswochen mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen. Ich habe nicht nur die Meinungen meiner Vorgesetzten, sondern auch die Stimmen und Bemerkungen meiner Teilnehmer beachtet.
Als Gruppenchef wollen wir den Milizoffizieren (positive) Bilder vermitteln. Nebst der Lehrfreiheit, die wir geniessen, müssen wir Verbindlichkeit und Durchgängigkeit sicherstellen. Das ist nur mit einer guten Führung und einem gesunden Umfeld möglich!
Alle Ausbilder sind auch Milizoffiziere. Als Gruppenchef durfte ich mehrere Übungen als Bataillonskommandant gestalten. Ich habe an mehreren Stabstrainings teilgenommen. Ergänzt wurden meine Tätigkeiten in der Miliz, als ich noch VTU oder SRU vorbereitet und durchgeführt hatte. Als Gruppenchef und als Offizier konnte ich im Bereich “Stabsarbeit“ viel profitieren. In dieser Zeit konnte ich mich auch dank Vorgesetzten, Kollegen und Teilnehmern als Person und Ausbilder stark verbessern.
Fazit
Die Zentralschule ist eine Drehscheibe der Armee. Alle geborenen Ausbilder sollten bei der persönlichen Karriereplanung den Einsatz an der Zentralschule einbeziehen. Unmotivierte Ausbilder haben auf diesem Niveau nichts zu suchen. Alle, die bereit sind, sich kontinuierlich weiterzubilden, sich zu verbessern und die nötige Portion Motivation, Elan und Führungsstärke mitbringen, sind die richtigen Personen für diesen Job als Gruppenchef. Nur auf dieser Basis werden sie Ausbilder, die Verantwortung nicht nur haben, sondern auch leben, indem sie den benediktinischen Grundsatz “Selbstachtung, Achtung des anderen und Achtung des Umfeldes“ respektieren.
Ich hoffe, dass Sie als Milizoffiziere die Plattform der Zentralschule als eine moderne Organisation effizient und effektiv nutzen werden. Wir haben selbstverständlich auch Erwartungen an Sie. Seien Sie offen für Neues, neugierig und fragen Sie sich immer wieder, welchen Beitrag Sie zur Problemlösung leisten können! Anselm Grün (Schriftsteller) sagt: “Wer sich nicht selber führen kann, wird kaum in der Lage sein, andere zu führen.“ Das gilt für alle, und zwar für Ausbilder und Teilnehmer.
Das ist ein publizierter Beitrag für die grösste schweizerische Militärzeitschrift der Schweiz (Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (ASMZ), Mai 2017, No 5, S. 38-39)
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Download Artikel in pdf: ASMZ_05_2017_Seite 38-39