Vorsprung durch Leadership – mehr als eine Notwendigkeit

Die Ewige Frage, ob die Komfortzone verlassen werden muss

Das Thema «Vorsprung durch Leadership» behandelt sechs bestimmte Thesen, in deren Mittelpunkt der Mensch und die Frage nach dem Warum stehen. Die erste These besagt, dass zur Erreichung einer höheren Leistungsfähigkeit eine nachhaltige Sinnvermittlung zwingend ist. Die zweite gibt an, dass die Leistungsfähigkeit von der militärisch-zivilen Vereinbarkeit profitiert. Die dritte These geht davon aus, dass das Verständnis der Menschengeneration ein Erfolgsfaktor zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft ist. Dass die Technologisierung der Gesellschaft Konsequenzen für das Leadership hat, ist die vierte These. Die fünfte These, die auf beobachteten Trends basiert, besagt, dass das Beherrschen der VUCA-Welt eine unverzichtbare Fähigkeit des Leaderships in der Zukunft ist. Die sechste und letzte These sagt aus, dass die Auftragstaktik in der komplexen und modernen Gesellschaft immer noch ihre Berechtigung und Notwendigkeit hat.

Der Artikel verfolgt drei einfache, aber entscheidende Ziele, und zwar, den Lesern die Herausforderungen des Leaderships von heute und morgen aufzuzeigen, diverse Leadership-Messungstools, die ich im Rahmen meiner Recherchen entwickelt habe, darzulegen und die Freude am modernen Leadership unter dem Motto «Vorsprung durch Leadership» zu vermitteln.

Bevor ich beginne, ist es notwendig, aus dem Dschungel der Begriffe die zwei Wörter Leadership und Leader zu definieren. Google verzeichnet 362 000 Einträge für Leadership und 429 000 Einträge für Leader. Aus den vielfältigen und zahlreiche Definitionen ist für mich Matthew Sowciks Erklärung für Leadership sehr passend. Im zufolge ist Leadership ein Prozess. Leader und Anhänger entwickeln eine Beziehung und richten die gemeinsamen Ziele unter Berücksichtigung des Umfelds und der kulturelle Werte und Normen aus. Der Leader ist gemäss Alan’s Gleanings in der Lage, seine Leute hinsichtlich der Zielerreichung zu beeinflussen.

Leadership-leader

Es wäre falsch oder naiv, zu denken, dass man beliebt sein muss, um ein Leader zu sein. Die Geschichte zeigt ganz klar, dass erfolgreiche Leader nicht immer beliebt waren. Man denke an Steve Jobs, Montgomery, Mac Arthur, Jack Welsch oder Patton. Dies sind Persönlichkeiten, die Geschichte geschrieben und Visionen hartnäckig verfolgt haben. Sie waren Leader, deren spezielle Charaktereigenschaften nicht immer nur Positives aufwiesen.

Die Sinnvermittlung

Die Sinnvermittlung ist heute mehr denn je zentral. Wir sind Meister im Erteilen von Befehlen, gut darin, das Wie zu erklären, aber ganz schwach, wenn es darum geht, das Warum zu vermitteln. Warum müssen wir das oder das machen? Warum heisst es «Vorsprung zum Leadership»?

Hier folgen meine persönlichen Überzeugungen: «Agieren statt Reagieren» ist seit Jahren mein Motto. Ich möchte nicht warten, sondern an die möglichen Probleme herangehen, die Herausforderung suchen, analysieren und sie beseitigen. Wir sollten nicht nur dem Motto «think outside the box» folgen, sondern als Leader «do something outside the box» anstreben. Vorsprung durch Leadership heisst auch, die Fähigkeit zu besitzen, Muster zu brechen und die Komplexität zu reduzieren, um in der VUCA-Welt (Rappazzo, ASMZ Nr. 10, Oktober 2016, S. 32-35) bestehen zu können. Die VUCA-Welt steht für Vulnerabilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Es ist uns allen klar, wieso wir vulnerabel geworden sind. Die Vernetzung, die Globalisierung, die Ungewissheit, weil wir nicht wissen, was morgen passieren kann, sind zu nennen, sowie die Komplexität der Systeme, der Gesellschaft und die Mehrdeutigkeit, in der es normal ist, dass mehrere Lösungen für ein Problem bestehen. Die Antwort auf die VUCA Welt lautet daher, auf die Vulnerabilität mit einer klaren und starken Vision zu antworten sowie die Ungewissheit durch gegenseitige Verständigung in den Griff zu bekommen. Das heisst nicht, sie 100% zu beherrschen. Die Komplexität muss reduziert werden. Gegen die Mehrdeutigkeit hilft ein altbewährtes System, das wir schon als Kinder genutzt haben: «Try, fail and learn». Viele von uns lebten noch im Limbo der SSEE-Welt, Akronym für stabil, sicher, einfach, eindeutig (Rappazzo, Armee-Logistik Nr. 4, April 2016, S. 3-5). Wahrscheinlich war es früher gar nicht so SSEE, wie wir meinen. Die Welt war aber anders. Auch heute ist es nicht falsch, diese Stabilität als Vision anzustreben. Der Mensch braucht Anhaltspunkte resp. Sicherheit. Allerdings ist es vernünftig, eine Balance zu finden. Auf der Suche nach Sicherheit bereite ich mich auf die Unsicherheit vor.

Das folgende Beispiel soll zeigen, wie die Führungsstruktur den Erfolg beeinflussen kann. Zu diesem Zweck denken wir an eine Spinne und einen Seestern. Wenn wir der Spinne ein Bein ausreissen, fällt auch die Führung in den Abgrund. Wenn wir einen Teil des Seesternes amputieren, passiert etwas Unvorstellbares. Die Seesterne sind in der Lage, wieder Leistungen zu erbringen, denn die amputierten Teile wachsen nach. Somit ist auch klar, wieso Armeen oder stark zentralisierte Organisationen mehr Schwierigkeiten haben, autonome Organisationen zu beseitigen. Wenn es nebst der Autonomie eine starke und klare Vision gibt, wird es für die sturen Organisationen noch schwieriger. Die Kunst besteht darin, zwischen den beiden Extremen zu jonglieren.

Die prägenden Trends der VUCA-Welt

Vier der heutigen Trends prägen die VUCA-Welt in Bezug auf das Leadership und in unserem Fall in Bezug auf die Armee und die Wirtschaft: die Urbanisierung, die neuen Menschengenerationen, die Demographie und die Technologie. Die Urbanisierung hat mit der Dichte der Menschheit zu tun. Es geht um das Zubetonieren des Geländes, die Vertikalisierung, die ganz deutlich grosse Einflüsse auf die anzuwendende Taktik (sei es beim Militär, sei es in der Wirtschaft) haben wird. Der Mensch muss lernen, auf wenig Raum zusammen zu leben und zu arbeiten. Die verschiedenen Typologien der Menschengenerationen (Rappazzo, Vorsprung durch Leadership) beeinflussen jedes Leadership in der Art und Weise des Agierens, des Denkens und des Handelns. Es geht darum, nicht zu beurteilen, wer besser oder schlechter ist, sondern diese Generationen gut zu kennen und zu verstehen, um als Leader wirksamer zu sein. Ein Aspekt der Demographie sind die Menschen zwischen 30 und 40 Jahren. Die Gesellschaft übt ein sehr grosser Druck auf diese Leute aus. Die Erwartungen sind sehr gross (Familiengründung, Karriere, Militärdienst, Weiterbildung, Vereine usw.). Die Vater- oder die Mutterrolle birgt neue Herausforderungen. Die zunehmende multikulturelle Gesellschaft (auch im Militär) und der Wohlstand unserer Gesellschaft setzt viele Leute, darunter Führungskräfte, unter Druck. Dieser Druck im Leadership ist in den letzten 10 Jahren enorm gestiegen. Allen wollen etwas. Viele sind nicht mehr in der Lage, den Anforderungen an sie gerecht zu werden. Viele Erwartungen werden nicht mehr erfüllt.

Die Technologie, heute spricht man von den 4. Revolution, wird das Arbeitsfeld dramatisch verändern. 5 Millionen Jobs werden verloren gehen, viele neu geschaffen. Die neuen Berufe werden von hochgebildeten Menschen besetzt sein. Die Richtung ist klar: Handwerkliche Tätigkeiten werden weniger. Wir werden mit Big Data zu tun haben, mit der Kommunikation, mit Sozial Medien, mit der Anwendung der AI (Artificial Intelligenz). Methoden und Prozesse werden sich verändern. Es kann sein, dass Hierarchien flacher werden, dass aufgrund der Technologisierung der Berufe von mehr Eigenverantwortung die Rede sein wird, also weniger Chefs. Diese möglichen Einflüsse werden sowohl beim Militär als auch in der Wirtschaft ein Thema sein.

Lectio Divina

Landschaft

Leadership steht somit unter einem enormen, aber auch faszinierenden kontinuierlichen Druck. Wirksame Leader werden in Zukunft eine grössere Rolle spielen. Das Bild (Landschaftsmodell) ist ein Versuch, die Bedeutung und die Vielseitigkeit des Leaderships zu zeichnen (Rappazzo, Miles Verlag, S. 28). Die Stärke eines Leaderships ist somit eine Summe aus mehreren Faktoren, die sich im Laufe der Zeit stetig verändern, was es für mich noch interessanter macht, die Stärke eines Leadership zu messen. Das Bild der Maslow’schen Leadership-Bedürfnispyramide ist das Resultat meiner Umfrage bezüglich der Eigenschaften des Leaderships.

Piramide

Die Sinnvermittlung ist mit den physiologischen Bedürfnissen zu vergleichen, das Beherrschen der VUCA-/SSEE-Welt mit den Sicherheitsbedürfnissen, das Netzwerkdenken mit den sozialen Bedürfnissen, die Resilienz mit den Individualbedürfnissen und die Antifragilität mit der Selbstverwirklichung. Je gefestigter wir in einem Bereich sind, umso stärker ist unser Leadership. Je stärker wir von unten nach oben sind, desto wirksamer ist unser Leadership. Der Entscheid, wie effektiv ein Leadership ist, ist jeder Organisation überlassen. Sicher ist, dass dieses Instrument keine «One-Men-Show» ist.

Resilienz und Antifragilität sind zwei Begriffe, die sicherlich eine zusätzliche Erklärung benötigen. Das Bild (Resilienz und Antifragilität) zeigt deren Bedeutung. Beim Eintreten eines Problems bestehen normalerweise drei Möglichkeiten:

Wir gehen zugrunde (rote Linie). Wir sind nicht mehr in der Lage, wieder die Startsituationen zu erreichen (schwarze horizontale Linie). Das heisst: Abgrund! Die Lösung des Problems stärkt uns und wir gelangen wieder auf die Startposition (gelbe Linie). Das heisst Resilienz! Wenn wir nicht nur die Startposition erreichen, sondern wir uns verbessern beziehungsweise weiterentwickeln, bedeutet das Antifragilität (grüne Linie).

Kenel

Nun betrachte ich es als wichtig, ein weiteres, einfacheres Instrument vorzustellen. Die Basis für dieses Schema stellt das Buch des ehemaligen Kommandanten der Zentralschule dar. Ritschard wollte darin einfach die Taktik beschreiben. Ich habe sein Schema mit den drei Begriffen Bauch, Kopf und Herz erweitert. Sinn und Zweck der Stabsarbeiten ist es, dem Führer genügende Grundlagen zur Entscheidungsfindung zu geben, subjektive Werte zu vermindern, objektive Werte zu vergrössern. Letztendlich ist aber das Bauchgefühl (als Restrisiko) vorhanden. Nur der Verantwortungsträger darf die Richtung angeben.

Ritchard

Das Instrument ist eher eine Erklärung über Sinn und Zweck der Teamarbeit sowie der Relation zwischen objektiven Werten (SSEE Welt vergleichbar), subjektiven Werten (VUCA Welt vergleichbar) und der entscheidenden Verantwortung jedes Chefs bzw. Leaders.

Die Zukunft

Somit gehen wir zu einer sehr schwierigen intellektuellen Herausforderung über, nämlich der Zukunft, die noch nicht geschrieben ist. Die Frage zu beantworten, wie man die Zukunft plant, ist nicht einfach. Welche Instrumente stehen uns zur Verfügung?

Hier ein Versuch: Auf die VUCA-Welt bezogen, können wir uns fragen, wie die entscheidenden Einflussfaktoren lauten. Was wollen wir in ein paar Jahren erreichen? Wie verfolgen wir unsere Strategie? Wie stärken wir unsere Pyramide unter diesen Umwelteinflüssen? Für die Zukunft brauchen wir auch Charaktere, die nicht immer beliebt sind, nämlich die freien Denker. Was könnte noch auf uns zukommen?

Futuro

Um diese Fragen zu beantworten, können wir unsere Zeitachse in Dimensionen aufteilen (Rappazzo, Vorsprung durch Leadership), in denen wir systematisch und regelmässig verschiedene intellektuelle Aktivitäten ausüben. Die Vergangenheit kann uns punkto Zukunft eine Lehre sein. Die Aktualität hingegen zeigt uns unseren Standpunkt und gibt Signale für eintretende Trends. Die Zukunft wird stark von Strategien und Visionen geprägt sein.

Leadership Form und Stil im Wandel der Zeit

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein wirksames und zeitgemässes Leadership enorm zur Auftragserfüllung beitragen kann. Der Mensch steht dabei im Zentrum und ist quasi der Weg zum Ziel. Die Sinnvermittlung rückt stärker denn je in den Vordergrund. In der digitalen Welt Menschen zu motivieren, heisst auch, ihnen den Sinn zu vermitteln. Leader, die mit gutem Beispiel vorangehen, ermöglichen das Erreichen von grossen und beinahe undenkbaren Zielen.Dummsten

In unserer Welt, die immer schneller und komplexer geworden ist, sind Leader gefragt, die Visionen haben und Menschen mögen. Wir brauchen Leader, die bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen. Sie müssen bereit sein, sich selbst auch immer wieder in Frage zu stellen und sich fortlaufend weiterzubilden. Die Führungswelt braucht Leader, die ihr Umfeld aktiv miteinbeziehen.

Leadership ist keine korrekte, exakte Wissenschaft. Prozesse und Methoden sind erlernbar, ein Leader zu sein hingegen nicht. Entweder ist man ein echter Leader oder nicht. Um wirksam zu sein, ist es an den Leadern, sich für die Zukunft effizient und effektiv vorzubereiten.

Vertiefte Erklärungen zu den vorgestellten Themen können Sie in meinem Buch «Vorsprung durch Leadership» finden. Das Buch gibt nebst den nötigen theoretischen Aspekten praktische Empfehlungen, um die Einsatzbereitschaft der Schweizer Armee zu erhöhen.

Weitere Vertiefungen bezüglich Leaderships oder Stabsarbeit finden Sie auf www.rappazzo.org.

LibroBuch
Rappazzo, A. Vorsprung durch Leadership – Modernes Leadership in der Armee. Miles-Verlag. ISBN 978-3-945861-49-3 – Erhältlich bei: Amazon, (Shop)

 

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