Vernunft – Wahnsinn – Innovation

Was haben die drei Wörter Vernunft, Wahnsinn und Innovation gemeinsam? Meiner Ansicht nach ist die Vernunft ein sicherer und kodifizierter Bereich mit klar definierten und gefestigten Regeln. Bewege ich mich nur in dieser sicheren Zone, ohne es je zu wagen, auch nur einen Blick in den Bereich des Wahnsinns zu werfen und einen Schritt in das Grenzenlose, Verrückte zu machen, bleibt mir Innovation verwehrt. Die Vernunft ist quasi eine Konkordanz des (Verhaltens-)Kodex, die sich der Mensch auferlegt hat, um zu verstehen und ohne Missverständnisse kommunizieren zu können. Eine der verschiedenen modernen Definitionen (Treccani) weist auf «die Fähigkeit des Denkens hin, Begriffe in eine logische Beziehung zu setzen, die dazu führt, das Wahre vom Falschen, das Gerechte vom Ungerechten, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, und die hilft, die Triebe [des Menschen] zu kontrollieren». Es ist also offensichtlich, dass die Vernunft, wie sie jetzt ausgedrückt wird, ein Konstrukt unseres Intellekts ist, auf das wir uns verlassen, um darin Sicherheit zu finden.

Bleib hungrig, bleib verrückt

Steve Jobs

Steve Jobs Aufforderung «Stay hungry, stay foolish» erweitert meine These. Er bringt Innovation mit Hunger (nach Neuem) und Wahnsinn (verrückte Ideen) in Verbindung. Der Wahnsinn erlaubt, sich in jede Richtung zu bewegen. Innerhalb der Parameter der Vernunft sind innovative Gedanken sozusagen nicht verfügbar. Der Verrückte ist also (Treccani) einer, der nicht nachdenkt oder etwas tut, ohne nachzudenken. Verrückt ist aber auch «das, was auf eine sehr mutige Weise getan wird». Ein Verrückter zu sein, bedeutet also, ausserhalb der von unserer Gesellschaft kodifizierten Schemata der Vernunft zu denken, zu tun und zu handeln.

Schon Albert Einstein sagte, dass Krisen eine Chance für den Menschen oder die Gesellschaft sein können, sich neue Lösungen vorzustellen. Hier finden wir eine Analogie mit der Notwendigkeit, aus der Vernunft auszubrechen, um Innovationen oder Lösungen zu finden, die wir innerhalb der kodifizierten Grenzen der Vernunft nicht finden konnten.

Aus diesem Grund flösst uns der Verrückte, der Querdenker, normalerweise Angst ein. Die Wertschätzung des Verrückten, dieser Figur ausserhalb des üblichen Kanons, die wir neu bewerten, wenn wir in unserem kleinen Raum eingesperrt sind, der keine Lösungen mehr bietet, ermöglicht uns, neue Wege zu wagen, die bisher im Code unseres Denkens nicht enthalten waren.

Eine verrückte Einstellung ist in jedem von uns vorhanden. Während der Nacht wandern unsere Gedanken in den unerforschten Raum unserer Phantasie, in den Dschungel des Wahnsinns. Wenn wir aufwachen, entzündet unser Wesen, das sich dieser Situation des Wahnsinns bewusst ist, wieder das Licht der Vernunft und wir machen mit anderen Gedanken weiter.

Da ich nicht selten über die Grenzen der Vorstellungs- und Innovationsfähigkeit nachdenke, möchte ich kurz auf die Bedeutung der Tugend der (geistigen) Indoktrination eingehen. Sie ist die grösste Einschränkung, wenn wir über diese Grenzen hinausgehen wollen (Transzendenz?).

Wer das, was ihm begegnet, mit vorher streng festgelegten Kriterien misst, stösst nie auf etwas Neues, weil er sich darauf beschränkt, das Feld ständig nach den Kriterien der berechnenden Vernunft zu ordnen und umzuordnen, die nicht zuzuhören weiss, weil sie damit beschäftigt ist, zu ordnen, alle möglichen Sinne und Bedeutungen vorzugeben.[1]

Dies mag einer der Gründe sein, warum grosse oder stark hierarchische Strukturen langsamer innovativ sind. Eingesperrt innerhalb selbst auferlegter (und wahrscheinlich notwendiger, um nicht ins Chaos oder in die Anarchie abzugleiten) Grenzen, fehlt es diesen Organisationen an Agilität und Vision (fürs Neues) für Veränderungen.

Wir setzen unsere Diskussion anhand von zwei aussagekräftigen Videos fort, von denen das erste die Wichtigkeit, über den Tellerrand zu schauen, und das zweite die Macht der Disziplin zeigt. Das heisst aber nicht, dass der erste Gedanke den zweiten ausser Kraft (und vice versa) setzen muss.

(…) an die Verrückten, an die Nonkonformisten, an die Rebellen, an die Störenfriede, an alle, die die Dinge anders sehen. Sie mögen keine Regeln, insbesondere keine Vorschriften, und haben keinen Respekt vor dem Status quo. Man kann sie zitieren, ihnen widersprechen, sie verherrlichen oder verunglimpfen, aber eines kann man niemals tun: sie ignorieren. Weil sie Dinge verändern können, weil sie die Menschheit voranbringen und während manche sie als verrückt bezeichnen mögen, sehen wir die Andeutung davon. Denn nur diejenigen, die verrückt genug sind zu glauben, sie könnten die Welt verändern, verändern sie auch tatsächlich.[2]

Apple – Think Different

Sicher, es ist eine Werbebotschaft (siehe Video), aber die Botschaft ist sehr kraftvoll und macht uns klar, wie wichtig nicht nur die Vernunft, sondern auch die Verrücktheit von Ideen ist.

Apple – Think Different – Full Version

Die Mehrheit der Menschen bleibt jedoch innerhalb der Regeln der Vernunft gefangen, ohne den Reiz (oder das Bedürfnis) zu verspüren, ihnen selbst für eine kurze Zeit zu entfliehen.

Am Morgen, bevor wir produktiv werden, gehen wir also einen Weg, der uns dazu führt, die Herrschaft über unsere Vernunft wiederzuerlangen und das Gefühl des Wahnsinns, das die Nacht freigesetzt hat, hinter uns zu lassen. Das extreme Symbol dafür ist das Video (es gibt auch ein Buch), das ich Ihnen vorstelle, eine ebenso kraftvolle, rigorose und disziplinierte Botschaft, die in manchen Momenten unseres Lebens den Unterschied ausmachen kann. Jeden Tag als erste Aktivität das Bett zu machen – es könnte auch einfach etwas anderes sein – erinnert uns an die Ordnung der Dinge, die die Gesellschaft oder die Gruppe von uns erwartet. Vernunft und Wahnsinn, wenn auch auf den ersten Blick Gegensätze, sind notwendig, sind komplementär, und zwar für viele, aber offensichtlich nicht für alle.

Admiral McRaven


[1] Citazione Galimberti pp 623, in “il tramonto dell’Occidente”. “Chi misura ciò che incontra con criteri rigorosamente stabiliti in precedenza non incontra mai qualcosa di nuovo, perché si limita a sistemare e risistemare continuamente il campo secondo i criteri della ragione calcolante, che non sa ascoltare perché è impegnato a ordinare, a pre-stabilire tutti i sensi e tutti i significati possibili”.

[2] “(…) ai folli agli anticonformisti ai ribelli ai piantagrane a tutti coloro che vedono le cose in modo diverso. Costoro non amano le regole specie i regolamenti e non hanno alcun rispetto per lo status quo. Potete citarli, essere in disaccordo con loro potete glorificarli o denigrarli, ma l’unica cosa che non potrete mai fare, è ignorali. Perché riescono a cambiare le cose, perché fanno progredire l’umanità e mentre qualcuno potrebbe definirli folli noi ne vediamo il cenno. Perché solo coloro che sono abbastanza folli da pensare di poter cambiare il mondo, lo cambiano davvero”

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